Wirtschaftsordnung: Planwirtschaft und Marktwirtschaft

Wirtschaftsordnung: Planwirtschaft und Marktwirtschaft
Wirtschaftsordnung: Planwirtschaft und Marktwirtschaft
 
Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme in der Sowjetunion sowie in Mittel- und Osteuropa 1989/90 war ein Zusammenbruch sowohl des politischen als auch des Wirtschaftssystems — und zwar in einem gegenseitigen Bedingungszusammenhang. Denn neben dem Aufbegehren der Menschen gegen politische Unterdrückung, geheimdienstliche Überwachung und Zensur stand der hoffnungslose ökonomische Rückstand eines Systems, von dem der sowjetische KP-Chef Chruschtschow 1961 prophezeit hatte, es werde binnen zwanzig Jahren die USA wirtschaftlich überholen. Mit dem Ausbleiben des wirtschaftlichen Erfolgs, das ihren Bürgern auch aufgrund der vermehrten Kontakte mit dem Westen seit der Schlussakte von Helsinki (1975) nicht verborgen blieb, verloren die kommunistischen Regime der Staaten des »real existierenden Sozialismus« in Mittel- und Osteuropa eine entscheidende Legitimationsbasis. Hoffnungsloser Rückstand bedeutete, dass für die Massen, zum Teil auch für die politische Führung in diesen Ländern, das Ziel, den ökonomischen Standard der westlichen Industriestaaten zu erreichen, in weite Ferne gerückt war.
 
Von daher wird das hohe Maß an Zustimmung verständlich, das die Menschen in diesen Staaten der grundlegenden Umgestaltung ihrer Wirtschaft, das heißt der Transformation des ökonomischen Systems, entgegenbrachten. Marktwirtschaft war in diesem Zusammenhang der politische Schlüsselbegriff, mit dem sich die Erwartungen auf ein besseres Leben verknüpften. Überwiegend liefen die Vorstellungen der Reformkräfte auf eine »freie« Marktwirtschaft hinaus, in der private Unternehmen und die private Nachfrage ohne größere Einschränkungen nach ihren Interessen den wirtschaftlichen Prozess bestimmten. Nur in der DDR wurde im Vorfeld der Volkskammerwahlen vom Frühjahr 1990 und während der nachfolgenden Regierung der großen Koalition die soziale Marktwirtschaft zum bestimmenden Schlagwort. Im Wesentlichen wurde darunter die Übernahme der Wirtschafts- und Sozialordnung der Bundesrepublik Deutschland verstanden, wie sie am 1. Juli 1990 aufgrund des Staatsvertrags über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion erfolgte.
 
Die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, aber auch die historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für die radikale Umgestaltung in den einzelnen Staaten Mittel- und Osteuropas waren höchst unterschiedlich — wie auch die Vorgehensweisen und die erzielten Ergebnisse. In Polen etwa wandte die auf die Kräfte der Solidarnośćgestützte Regierung ein finanzpolitisches »Schockverfahren« an, um den Prozess der Transformation zu beschleunigen und unumkehrbar zu machen. Dies entsprach der Einschätzung des tschechischen Präsidenten Václav Havel: »Es ist unmöglich, einen Abgrund in zwei Sprüngen zu überqueren.« In der Ukraine hingegen lief der Transformationsprozess langsamer an, da man sich hier zunächst — auch in Auseinandersetzung mit Russland — der Bildung einer eigenen nationalen Identität widmete.
 
 Strukturen der Wirtschaft in den Transformationsländern
 
Die Wirtschaftsstruktur der kommunistischen Industriestaaten wies durchweg ein Übergewicht der Schwerindustrie, der Investitionsgüterindustrie und des Energiesektors gegenüber der Konsumgüterindustrie auf. Der Dienstleistungssektor war unterentwickelt. Die Landwirtschaft wurde — außer in Polen — von Großbetrieben dominiert. Die Festsetzung der Preise durch die staatlichen Plankommissionen führte zu falschen Preisen insofern, als die Produktionskosten sich nicht in diesen Preisen wiederfanden. Subventionierung führte ebenfalls zu Preisverfälschung; bekannte Beispiele sind die Energiepreise sowie die Wohnungsmieten, deren Erträge häufig nicht einmal zur Instandhaltung der Wohnungen ausreichten.
 
Für das einzelne Unternehmen in der Planwirtschaft rangierte »Produktion nach Plan« vor der Erzielung von Gewinnen. Gewinne und Verluste wurden volkswirtschaftlich ausgeglichen; die Frage der Rentabilität des einzelnen Unternehmens blieb dabei offen. Wettbewerbsgesetze bzw. eine Antimonopolbehörde haben Ungarn, Polen und die Tschechoslowakei schon 1991 eingeführt und die Tschechische wie die Slowakische Republik haben ihre Regelungen bereits 1993 denen der Europäischen Gemeinschaft angepasst. Russland reformierte 1995 sein Wettbewerbs- und sein Antimonopolgesetz und verschärfte die Sanktionen bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht.
 
Die marktwirtschaftlichen Reformen hingegen zielten auf Produktion für den Kunden, auf die Preisbildung am Markt und auf das Gewinninteresse der Einzelunternehmen. Damit rückten auch die betrieblichen Kosten verschärft in den Blick. Zahlreiche Unternehmen blieben dabei ganz auf der Strecke; in anderen suchte das Management durch radikalen Abbau der Belegschaft das Überleben zu sichern. Ein weiteres zentrales Ziel der marktwirtschaftlichen Reformen war der Aufbau eines funktionsfähigen Bankensystems, das dem Finanzierungsbedarf der umgestalteten Wirtschaft entsprach. Der erste Schritt bestand darin, das bisherige Monopol der Staatsbank aufzugeben und ein zweistufiges System mit einer Zentralbank und mehreren Geschäftsbanken aufzubauen. Die weitere Entwicklung der Finanz- und Kapitalmärkte hatte bestimmenden Einfluss auf den Fortgang der Privatisierung und die Gründung neuer Unternehmen. Schon 1990 wurde in Budapest eine Börse errichtet, 1991 folgten Warschau und Ljubljana, 1992 Sofia, 1993 Prag und Bratislawa sowie Bukarest 1995.
 
 Die Transformationsländer und der Weltmarkt
 
Die Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW, auch Comecon genannt) hatten nur sehr begrenzt am internationalen Handel teilgenommen; ihre Währungen waren nicht konvertibel. Ein großer Teil ihres Außenhandels spielte sich innerhalb des RGW ab, in dem ein System der Arbeitsteilung in der Produktion galt; jedes Land hatte seine industriellen Schwerpunkte und war durch ein Netz von Lieferbeziehungen mit den anderen RGW-Mitgliedern verbunden.
 
Der Zusammenbruch der kommunistischen Systeme war — zumindest zeitlich — verknüpft mit einem weiteren Schub der Globalisierung der Weltmärkte, auf die nun auch die Transformationsländer verstärkt drängten. Dabei ist es durchaus umstritten, ob die rasche und ungeschützte Integration in die Weltmärkte und die internationalen Handelsbeziehungen tatsächlich die beste Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung der Transformationsstaaten ist. Wesentliche Impulse erwarteten sich die Reformer von Direktinvestitionen ausländischer Kapitalgeber, die freilich unter der Voraussetzung eines günstigen Investitionsklimas standen, das bedeutete vor allem Rechtssicherheit und die Möglichkeit, Gewinne zurückzuüberweisen. In den Jahren 1990 bis 1995 wurden allerdings nur zwei Prozent der weltweit erfolgten Direktinvestitionen in den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten getätigt.
 
In allen Transformationsländern hat sich seit 1990 der Außenhandel dynamisch entwickelt, am stärksten in Polen und in der Tschechischen Republik. Russland konnte seine Exporte — überwiegend Rohstoffe und Energieträger, die sehr von den Preisschwankungen des Weltmarkts abhängen — erst seit Mitte der Neunzigerjahre steigern. Wichtigster Handelspartner der mittel- und osteuropäischen Staaten ist mittlerweile die Europäische Union, und innerhalb der EU wiederum Deutschland. Dies bedeutet freilich eine erhöhte Abhängigkeit des Exports aus den Transformationsländern von der Konjunktur in Deutschland.
 
Erfolgreich waren Unternehmen vor allem da, wo es ihnen gelang, spezifische Vorzüge ihrer Waren oder Dienstleistungen im Export zur Geltung zu bringen; nicht selten ging es um Preisvorteile, die aus einem niedrigen Lohnniveau in Verbindung mit einer unterbewerteten Währung resultierten. Die Teilnahme am Welthandel war für die Transformationsländer auch deshalb geboten, um Anschluss an die Spitzentechnologien zu gewinnen. Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF) und westliche Staatengruppen gaben Kredite; Kreditverlängerungen und Umschuldungsaktionen — wie 1998 mit Russland — wurden vorgenommen. Der IWF verband seine Kreditzusagen häufig mit Auflagen hinsichtlich der Sanierung des Staatshaushalts und weiterer marktwirtschaftlicher Reformen.
 
Viele der mittel- und osteuropäischen Transformationsstaaten streben eine baldige Vollmitgliedschaft in der EU an, da sie sich von der Teilnahme am gemeinsamen Binnenmarkt große Vorteile für ihre wirtschaftliche Entwicklung versprechen. Unter dem Gesichtspunkt eines vergleichbaren wirtschaftlichen Niveaus sieht die EU insbesondere Polen, Ungarn und die Tschechische Republik als nächste Beitrittskandidaten an. Die Beitrittswünsche anderer Länder wie zum Beispiel Estlands, Lettlands und Litauens, die schon bald nach ihrer Unabhängigkeit eine Mitgliedschaft in der EU anstrebten, wurden zurückgestellt. Mit der Verabschiedung der Agenda 2000, die den künftigen Finanzrahmen der Gemeinschaft festlegt, hat die EU im März 1999 ihrerseits eine wichtige Voraussetzung für den Beitritt weiterer Staaten geschaffen.
 
 Eigentumsordnung und Privatisierung
 
Der Grundsatz, dass Staatseigentum an Unternehmen sich nicht mit dem Wettbewerbsprinzip der Marktwirtschaft verträgt, erforderte den Aufbau einer privat verfassten Unternehmensstruktur. Wichtiges Mittel war dabei die Förderung neu gegründeter privater Unternehmen. Bei der Privatisierung von Staatsunternehmen wurden verschiedene Wege gegangen: Der Verkauf an Außenstehende — im eigenen Land oder an Investoren aus dem Ausland — brachte Geld in die Staatskasse, soweit der Verkaufspreis nicht nur symbolisch war oder sogar Beträge zur Sanierung an den Käufer flossen. Kritisch war dabei die Einschätzung der Zuverlässigkeit des Käufers. Eine andere Möglichkeit war der Verkauf des Unternehmens an die bisherigen Manager, in manchen Fällen auch an die Mitarbeiter. Teilweise wurde auch der Weg der Coupon-Privatisierung gegangen, bei der bisheriger Staatsbesitz breit in der Bevölkerung gestreut wurde.
 
Häufig waren Größe und Zusammensetzung der Unternehmen nicht marktgerecht, sodass Unternehmen geteilt oder Unternehmensteile ausgegliedert und gesondert privatisiert wurden. Die Ermittlung des Kaufpreises war schwierig, weil nicht die bisherige Tätigkeit zugrunde gelegt werden konnte, sondern die Zukunftschancen des Unternehmens in einer radikal veränderten Umwelt eingeschätzt werden mussten.
 
 Infrastruktur, Rechtssicherheit und Sozialpolitik — Die neue Rolle des Staates
 
In den Transformationsländern verlor der Staat seine Eigenschaft als Eigentümer der Produktionsmittel und oberster Planer der Wirtschaft. Die veränderten Aufgaben im Zuge des Reformprozesses und in einer sich entwickelnden Marktwirtschaft erforderten gleichwohl einen starken Staat. Dabei mussten einige Länder wie die Slowakei, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aber auch die ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens, die erst im Umbruch ihre Souveränität (wieder) gewonnen hatten, ihre neue Staatlichkeit erst finden und definieren. Für viele Bereiche musste eine neue und transparente Gesetzgebung geschaffen werden — als erste Voraussetzung für Rechtssicherheit. Für den Bereich der Wirtschaft gehörten dazu die Garantie privater Eigentumsrechte, Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Wettbewerbs- und Konkursrecht.
 
Zur Durchführung der marktwirtschaftlichen Reformen, zu der die Regierungen durch das Mandat ihrer Wähler im Zuge des politischen Umbruchs legitimiert wurden, war eine starke staatliche Administration erforderlich. Kontrolle des Wettbewerbs und der Banken zur Verhinderung von Missbräuchen sowie Versicherungsaufsicht und Gesundheitsschutz sind in der Marktwirtschaft Aufgaben der demokratisch gewählten Regierung. Ein funktionierendes Steuersystem musste geschaffen werden, um — ohne die Unternehmen und die Bürger zu überfordern — dem Staat die notwendigen Einnahmen zu sichern. Dies umso mehr, als in vielen Fällen die Defizite im Staatshaushalt abgebaut werden mussten, auch um der Inflation zu begegnen und die Bedingungen des IWF für die Gewährung von Krediten zu erfüllen. Mehr oder weniger nach westlichem Muster wurden Steuersysteme mit den Grundelementen Einkommen-, Unternehmen- und Mehrwertsteuer geschaffen.
 
Auch in der Marktwirtschaft obliegt dem Staat die Aufgabe, der Gesellschaft eine funktionsfähige Infrastruktur bereitzustellen. Dazu gehören die Verkehrswege ebenso wie bestimmte Versorgungseinrichtungen, die mangels Gewinnerzielung vom Markt nicht zur Verfügung gestellt werden, eine effiziente Verwaltung, ein unabhängiges Gerichtswesen und nicht zuletzt das Erziehungs- und Bildungswesen einschließlich der wissenschaftlichen Einrichtungen. Viele sozialpolitische Aufgaben waren im alten System bei den Unternehmen angesiedelt: Gesundheitsfürsorge, Kinderbetreuung, Urlaubsvergabe. Unter Rentabilitätsgesichtspunkten entledigten sich nun die Unternehmen dieser Kosten. Was nicht der privaten Vorsorge des einzelnen Bürgers anheim gegeben wurde, verblieb beim Staat, der sich um Krankenversicherung, Altersvorsorge und um die Arbeitslosenhilfe zu kümmern hatte. So entstand ein bescheidenes Netz, das die im Zuge der Transformation aus den Betrieben Entlassenen wenigstens notdürftig aufzufangen hatte.
 
 Russland auf dem Weg zur Marktwirtschaft
 
Als bei weitem größtes Transformationsland soll Russland einer eigenen Betrachtung unterzogen werden, zumal hier auch die längste Tradition einer zentralistischen Planwirtschaft vorlag. Die wirtschaftliche Krise hatte ungewöhnliche Ausmaße: Im Zeitraum von 1989 bis 1996 sank das russische Bruttoinlandsprodukt um fast 50 Prozent. Im Zuge einer riesigen Inflation wurden alle Schwächen der bisherigen Wirtschaftsordnung aufgedeckt: die militarisierte Struktur, der große technische und technologische Rückstand und die geringe Wettbewerbsfähigkeit im zivilen Sektor. Schwere soziale Verwerfungen gingen mit der wirtschaftlichen Krise einher: Abbau der Realeinkommen, massive Arbeitslosigkeit — verdeckt oder offen — und die Reduzierung der sozialen Leistungen des Staates.
 
So trug der Staat gemäß der aus dem »real existierenden Sozialismus« weiterwirkenden Tradition nach wie vor die Kosten für die hohen sozialen Ausgaben, die Wohnungswirtschaft, die überdimensionierte Armee und die Rüstungsindustrie. Die Industriebetriebe kämpften um das nackte Überleben; Modernisierung, Kostensenkung und Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit wurden in die Zukunft verschoben. Bei generell sinkender Produktion entstanden Bedingungen für das Aufblühen eines »wilden Kapitalismus« mit legaler, halblegaler und auch krimineller Geschäftstätigkeit. Das in Russland erwirtschaftete Kapital fand trotz des enormen Investitionsbedarfs im Lande selbst zu großen Teilen keine Gewinn bringenden Anlagemöglichkeiten und wurde ins Ausland exportiert. Schätzungen gehen für die Jahre 1992 bis 1996 von rund 100 Milliarden Dollar aus.
 
Die rasche, gegen große Widerstände durchgeführte Privatisierung verteilte das staatliche Eigentum im Wesentlichen unter der Regierung des Gesamtstaates und den regionalen Regierungen, den großen Monopolen wie Gasprom, den größten Banken, den größten Industriekomplexen und den Leitern der Betriebe. So ist bisher eine gemischte Wirtschaft entstanden, in der jeweils etwa 25 bis 30 Prozent des Eigentums dem Staat oder externen Gesellschaftern und 35 bis 50 Prozent den Belegschaften und den Managern gehören. Dabei führte die in großem Ausmaß erfolgte Privatisierung in den meisten Fällen nur for- mal zur Bildung von Unternehmen. Nur ein kleinerer Teil sind Unternehmen im marktwirtschaftlichen Verständnis, die ihr Hauptziel in der Gewinnerzielung sehen. Einer Reihe besonders einflussreicher Unternehmen — Monopole, große Geschäftsbanken, Gruppen der Schattenwirtschaft — ist es gelungen, mithilfe des Staates an verschiedene Privilegien, Subventionen und Steuerermäßigungen zu kommen. Sie sind daran interessiert, entstehenden Wettbewerb zu verhindern.
 
Die weitere Entwicklung der russischen Wirtschaft im marktwirtschaftlichen Sinne erfordert einen aktiven und starken Staat, der in der Lage ist, die Regeln des Wettbewerbs durchzusetzen sowie halblegale und kriminelle Geschäftspraktiken erfolgreich zu bekämpfen. Die derzeitigen scharfen politischen Gegensätze zwischen Präsident und Regierung einerseits und der Parlamentsmehrheit andererseits engen allerdings die Handlungsmöglichkeiten des Staates ein.
 
 Sonderfall Ostdeutschland
 
Unter den Transformationsprozessen in Mittel- und Osteuropa stellt die Umgestaltung der Wirtschaft in der DDR bzw. in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland einen Sonderfall dar. Schon vor der staatlichen Vereinigung am 3. Oktober 1990 hatten die Bundesrepublik und die DDR in ihrem Staatsvertrag über die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion festgelegt, dass die DDR nicht nur die westdeutsche Währung, die Deutsche Mark, übernimmt, sondern mit nur wenigen Modifikationen das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem. Die Bürger der DDR, die bald Bundesbürger wurden, sollten in die Sozialversicherung einbezogen werden, die gemeinsam finanziert wurde. Die zunächst hohen Transferzahlungen von West nach Ost lösten in den neuen Ländern einen Nachfrageschub aus, der freilich in erster Linie westdeutschen Anbietern zugute kam.
 
Über die bereits von der vorletzten DDR-Regierung unter Hans Modrow errichtete Treuhandanstalt — nach der Vereinigung dem Bundesfinanzminister unterstellt — wurden ostdeutsche Betriebe und Liegenschaften an private Investoren verkauft. Wegen Mangels an Kapital kamen ostdeutsche Bürger dabei kaum zum Zuge. Im Wesentlichen wurden die Unternehmen, auch nach Zerlegung in einzelne Bestandteile, von Privatleuten und Firmen aus der Bundesrepublik oder aus dem Ausland erworben. Wie eine Ironie mutet es an, dass die Deutsche Mark, die im Zuge des deutschen Einigungsprozesses hohen Symbolwert für die ostdeutsche Bevölkerung besaß, schon nach wenigen Jahren durch den Euro ersetzt wird — aufgrund des europäischen Einigungsprozesses, der die deutsche Einheit erst ermöglicht hatte.
 
Mathias Münter-Elfner
 
 
Lang, Franz Peter: Integration und Transformation. Essays zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und Osteuropa. Essen 1996.
 Plasser, Fritz u. a.: Politischer Kulturwandel in Ost-Mitteleuropa. Theorie und Empirie demokratischer Konsolidierung. Opladen 1997.
 
Rußland im Wandel, herausgegeben von Karl Heinrich Oppenländer. München u. a. 1998.
 
Transformation sozialistischer Gesellschaften. Am Ende des Anfangs, herausgegeben von Hellmut Wollmann u. a. Opladen 1995.
 
Weltentwicklungsbericht 1996. Vom Plan zum Markt, herausgegeben von der Weltbank. Deutsche Ausgabe Frankfurt am Main 1996.
 
West- und Osteuropa auf dem Weg in die EWU. Beitrittsprobleme vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Transformation und finanzpolitischer Konvergenzkriterien, herausgegeben von Karl Heinrich Oppenländer. München u. a. 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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